TIROL: Hildegard von Bingen-Garten im Alpbachtal

Hildegard von Bingen, die große Weise aus dem Mittelalter, Äbtissin, Heilige, Pflanzenkennerin. Nie war sie im österreichischen Alpbachtal. Doch überzeugt von ihrer Lehre, schufen einige kräuterverliebte Gärtnerinnen dort den „Hildegard-Kräutergarten“. vonREISENundGAERTEN spürt diesem Gartengeheimnis in Tirol nach…

Foto des Eingangs des Kräutergartens in Österreich

Der Eingang zum „Hildegard-Garten“ in Reith im Alpbachtal in Tirol

Mittelalterliches Kräuterwissen

Irmgard Rendl liebt die Schafgarbe. „Die ist eine so tolle Pflanze, die wirklich heilt“, erklärt die Tirolerin. Die meisten Menschen schenken diesem weitverbreiteten Wildkraut kaum Aufmerksamkeit. Es wächst einfach am Wegesrand. „Die Kraft der Schafgarbe wird unterschätzt.“

Blüten und Blätter können im Salat gegessen werden. Oder als Tee kurz aufbrühen. Dabei sollte man viel Stängel, wenig Kraut verwenden, empfiehlt die Kräuterkennerin und deutet auf die Pflanze mit den zarten gefiederten Blättern. „Die Schafgarbe hilft bei der Wundheilung, ist ideal vor dem Zahnarztbesuch.“

 

Foto mit der Kräuter-Gärtnerin Irmgard Rendl

Irmgard Rendl im Hildegard Garten in Reith in Tirol

 

Die Macht der Kräuter

Dann geht sie auf die nächste Kräuterpflanze ein und die nächste und die nächste. Erzählt von ihrer Heilwirkung und immer auch, was Hildegard von Bingen dazu schrieb. Ganz klar: Irmgard Rendl ist begeistert von der Macht der Kräuter und von dieser Ordensschwester aus dem Mittelalter.

Hildegard – die Weise aus dem 12. Jahrhundert

Wer war diese Hildegard, wie sie Irmgard Rendl vertrauensvoll nennt? Die Nonne lebte von 1098 bis 1179 bei Bingen am Rhein. Selbst ziemlich kränklich, beschäftigte sich die Benediktinerin ein Leben lang mit der Heilwirkung von Pflanzen. Heute würde man Hildegard von Bingen, die es bis zur Äbtissin brachte und später auch heilig gesprochen wurde, als Natur- und Pflanzenforscherin bezeichnen – und als Heilerin. Sie hinterließ viele Schriften, die sich nicht nur mit rund 300 Pflanzen und Medizinthemen beschäftigen, sondern auch mit Religion und sogar Kosmologie. Auf jeden Fall ist Hildegard von Bingen eine der großen Frauengestalten des Mittelalters.

 

Gemälde der Äbtissin Hildegard von Bingen

Zeitgenössische Darstellung der Hildegard von Bingen

 

Das Dorf Reith im Alpbachtal

Irmgard Rendl wandert weiter durch den üppigen Kräutergarten, der von seiner Entstehung her wohl zu den ungewöhnlichsten Gartenprojekten in Österreich gehört. Denn der „Hildegard von Bingen-Kräutergarten“ im Ort Reith am Eingang des Alpbachtals ist ein Gemeinschaftsprojekt.

 

Wissen um die Pflanzen

In diesem kleinsten Tal Tirols haben sich acht Frauen zusammengetan und 2012 den Garten angelegt. „Wir möchten, dass das Wissen um die heilende Wirkung von Kräutern nicht verloren geht“, erläutert Irmgard Rendl, „denn selbst auf dem Land kennen sich die Menschen immer weniger mit Pflanzen aus.“

 

Foto des österreichischen Kräutergartens in Tirol

Der Kräutergarten in Hanglage

Heilerin aus dem Mittelalter

Außerdem möchten die Frauen die Lehre der Hildegard von Bingen weitergeben. Die Äbtissin hatte eigene Rezepte mit Pflanzen entwickelt, die sehr wirksam sind. In ihrem Kloster in Disibodenberg studierte sie die Pflanzen in einem eigenen Klostergarten. Die mittelalterliche Heilerin betonte die enge Beziehung von Mensch und Natur und war davon überzeugt, dass zur körperlichen Gesundheit eine ausgeglichene Seele und ein gesunder Geist gehören. Dieser ganzzeitliche Ansatz ist es, den Hildegard von Bingen so besonders und auch zeitlos macht.

Hildegard-Verein

Für den Garten haben die Frauen den Hildegard-Verein gegründet. Die Gemeinde Reith und drei Bauern stellten das steinige, sonnige Grundstück an der Sonnbichl-Terrasse zur Verfügung. Auch Freiwillige im Dorf halfen mit.
„Für uns Frauen war es eine Herausforderung, auf dem großen Platz eine Struktur hinein zubekommen“, erzählt Irmgard von den Anfängen. „’Der Mensch ist von Kopf bis Fuß eine Einheit’, sagt Hildegard. Deshalb haben wir den Garten in Beete nach Körperzonen und –funktionen, wie Herz oder Atmung, mit den dazugehörigen Pflanzen aufgeteilt.“

Das „Haut-Beet“ im „Hildegard-Garten“ in Reith

Beete für die Gesundheit

So wachsen zum Beispiel im „Haut-Beet“ Kräuter, die bei Hautproblemen helfen: Eisenkraut, Marienblatt (Balsamkraut), Mohn, Lavendel, Spitzwegerich und Aloe, die Hildegard Hauswurz nennt. Manche Pflanzen kommen in mehreren Beeten vor. Im „Gemüt“-Beet gedeiht der Ysop. Der hilft bei Verstimmung…

 

 

Die Wege schlängeln sich durch den „Hildegard von Bingen-Kräutergarten“ an den Beeten vorbei. Am Rand des Gartens ist ein kleiner Weinberg als Pergola angelegt. Mitten zwischen den Rosenstöcken im „Rosengarten“ steht ein Tisch mit Stühlen. Dazwischen gibt es an mehreren Stellen Sitzplätze. Also: hinsetzen, ausruhen, betrachten, spüren.

 

Gemüse im Hildegard Garten

Selbst einen abgezirkelten Bauerngarten mit Salat und Gemüse haben die Frauen angelegt. „In der heutigen Zeit ist Ernährung so ein wichtiges Thema“, erklärt Irmgard. „Wir wollen zeigen, wie alles wächst und für Qualität sensibilisieren. Leider schaut der Kunde im Laden oft nicht genau hin, was er da so in den Einkaufswagen legt.“

 

Gemeinsames „Garteln“

Bei der Anlage des Gartens haben die Hildegard-Frauen fast alles selbst gemacht:  gegraben, getragen, geschaufelt. Gedüngt wird mit Mist von einer Bäuerin. Und immer Mittwochvormittags treffen sich die Frauen aus Reith zum „Garteln“. Dieser Garten schafft Gemeinschaft unter Menschen. Das Miteinander untereinander ist den Gärtnerinnen wichtig.

 

„Pflege das Leben, wo Du es triffst.“

Das passt zu dem Hildegard-Zitat, dass auf dem Holzhäuschen des Kräutergartens zu lesen ist: „Pflege das Leben, wo Du es triffst.“ „Für mich bedeutet das, auf sich achten, den Augenblick leben, nicht erst warten, bis der schöne Moment kommt“, interpretiert Irmgard. „Wirklich im Jetzt zu sein und es gut zu haben. Gemeint ist das nicht im materiellen Sinn, sondern im seelischen, geistigen. Einfach mehr spüren!“

Gesundheitsvorsorge

Das Wichtigste bei Hildegard sei die Gesundheitsvorsorge, zu schauen, dass es einem gut geht. Die Wertschätzung gegenüber sich selbst hat die mittelalterliche Naturforscherin als elementare Notwendigkeit auf dem Weg zur Gesundheit identifiziert.

„Jeder hat viel Arbeit und wenig Zeit, kaum einer nimmt sich mehr Zeit für die einfachen Dinge“, empfindet Irmgard. Dem gilt es etwas entgegen zu setzen. Deshalb hat sie ihren eigenen Naturladen für Hildegard-Produkte, der vor wenigen Jahren in Reith eröffnet wurde, „Einfach Leben“ genannt.

Früher war Irmgard Rendl Hausfrau und Mutter. Sie arbeitete als Verkäuferin. Doch wie kam sie zu Hildegard? „Hildegard kam zu mir.“ Während einer gesundheitlichen Krise vor einigen Jahren hatte sie Hildegard von Bingen durch Empfehlungen für sich entdeckt. Ihre Gesundheitsratschläge haben ihr geholfen. Die anderen Kräuterfrauen im Alpbachtal hatten ähnliche Erfahrungen. Die Erfahrung der Heilung brachte die Frauen zueinander und zur Idee für den Garten.

 

Ein Herz für Hildegard – Lavendelbeet in Herzform im „Hildegard-Garten“ im Alpbachtal

Hildegard-Lehre

Die zentrale Botschaft der Hildegard-Lehre ist „Discretio“, das rechte Maß. Ganz so wie es manche Großmutter früher noch predigte: „Alles mit Maß und Ziel“. Eine gute Balance sei elementar, auch beim Schlafen und Wachen. „Hildegard empfiehlt, das Maß zu halten, in der Freude, in der Ernährung, in der Arbeit. Der moderne Mensch verliert oft das Maß und rutscht dann in die Krankheit.“

Irmgard und Hildegard im Alpbachtal

Und dann spricht Irmgard in einem liebevollen Ton von Hildegard: „Mich persönlich spricht das Spirituelle an, das Feinfühlige, das Göttliche, das allgemein Göttliche, das in jeder Pflanze, in jedem Menschen steckt. Und dass die Hildegard-Lehre so einfach ist, dass man nicht studieren muss. Es ist nix Kompliziertes an dieser Hildegard, das mag ich gerne“, sagt die Kräutergärtnerin und zupft gleich an einem Kraut.

 

Im „Hildgard-Garten“ wird der Gast in die Pflanzenwelt der Hildgard von Bingen eingeführt.

 

WAS IST NOCH GUT ZU WISSEN?

INFORMATIONEN:  Der Hildegard Garten liegt am Ortsrand von Reith im Alpbachtal und ist von April bis Oktober geöffnet. Der Verein der Hildegard-Frauen veranstaltet dort von Mai bis September regelmäßig Führungen. Die Gärtnerinnen informieren die Besucher über die Heilwirkung der Pflanzen, so wie es Hildegard von Bingen beschrieben hat. Der Eintritt zum Schau- und Erholungsgarten ist frei, die Führungen sind kostenpflichtig. www.hildegardgarten.info

Informationen zu Hildegard von Bingen gibt es im Naturladen „Einfach Leben“ im Zentrum von Reith neben der Kirche. Dort verkauft Irmgard Rendl auch Lebensmittel, die der Lehre von Hildegard von Bingen entsprechen.

LAGE: Das Alpbachtal ist ein Seitental vom Inntal. Auf der Autobahn zwischen Kufstein und dem Brenner kann es über die Ausfahrt Kramsach erreicht werden. Dieses ruhige Tiroler Tal mit authentischem Leben kommt ohne großes Touristen-Remmidemmi aus. Gut zum Wandern.  www.alpbachtal.at

Weitere empfehlenswerte Gärten in Nähe: Der Schlosspark Matzen bei Brixlegg am Eingang des Alpbachtales zeigt sich als Paradies für Baum-Fans. In dem 16 Hektar großen Landschaftspark im englischen Stil wachsen viele seltene Baumarten, wie die Zeder oder der Trompetenbaum, die Ende des 19. Jahrhunderts gepflanzt wurden. Ein idealer Ort zum Ausruhen, Spazieren und Bäume bewundern. Der Eintritt ist frei.

TIPP-ÜBERNACHTUNG: Das Familienhotel „Pirchner Hof“ in Reith im Alpbachtal hat Christa Peer von ihren Eltern übernommen. Auch sie ist eine überzeugte Anhängerin der Lehre Hildegard von Bingens. In ihrem Hotel konzentriert sich die Kräuterkennerin auf das Thema Ernährung nach Hildegard von Bingen, die von bestimmten Lebensmitteln wie Erdbeeren abrät und andere, wie Dinkel empfiehlt. Christa Peer hat eigens eine Ausbildung an der Hildegard-Akademie von Brigitte Pregenzer absolviert.

Im Hotel wird der Gast informiert, hat dann die Wahl, ob er beispielsweise ein Hildegard Dinkelbrot essen möchte oder ein herkömmliches Weißbrot. Hildegard Gerichte sind im Menü eigens gekennzeichnet. Für jene, die sich intensiver mit Hildegard befassen wollen, bietet Christa Peer Hildegard Fastentage mit vegetarischer Dinkelreduktionskost mit speziellen Kräutertees an, Bürstenmassagen, dazu morgendliche Meditationen in einem verglasten Gymnastikraum mit Blick auf die Berge. Darüber hinaus hält die Hildegard-Expertin Vorträge über die sechs goldenen Regeln der Klosterfrau aus dem Mittelalter.

Der „Pirchner Hof“ ist umgeben von einem mit Gehölzen bewachsenen Hotelgarten, inklusive Kneipp-Becken zum Wassertreten und Barfußweg. Christas Mann Wolfgang pflegt als leidenschaftlicher Gärtner die Pflanzen um den Hotelpool mit Blick auf die Alpen. Neu angelegt wurden in 2017 die Beete des Kräuter- und Gemüsegartens vor dem Haus. Ein Muss für Kräuterfan Christa.

BESONDERES: Im hinteren Teil des Alpbachtals liegt das idyllische Dorf Alpbach, ein Ort quasi ohne Bausünden. So gut wie alle Häuser sind im Tiroler Stil mit Holz und Balkon gebaut. Alpbach hat auch schon mal vom ORF den Titel „Schönstes Dorf Österreichs“ verliehen bekommen. Im Juni und Juli blühen im Alpbachtal besonders viele Almrosen. Diese immergrüne Rhododendronart kann bis zu hundert Jahre alt werden und noch auf 2.800 Metern über Meereshöhe wachsen. Sie blüht rosa und erfreut die Wanderer.

TIPP-SPEISEN: Spitzenküche lässt sich in „Siwart’s Tiroler Weinstuben“ in Brixlegg, gleich am Anfang des Alpbachtals genießen. Die Köchin hat wunderschöne Augen, eine besondere Herzlichkeit und unglaubliche Kreativität, regionale und lokale Produkte auf Sterne-Niveau zu verarbeiten. Wann bekommt man schon mal Brennessel-Ravioli, getoppt mit zart frittierten Brennessel-Blättchen, serviert?

 

TIPP-SHOPPEN: Die Alpbachtaler Heumilchkäserei in Reith bietet hochwertigen Käse von Kühen aus der Umgebung, die ausschließlich mit Heu, frischem Grün, sowie Getreideschrot im Winter gefüttert werden und somit silofreie Milch geben. Der „AlpbachTaler“, ein 20 Tage gereifter Schnittkäse in Laibform, wird direkt in der Käserei produziert. Besucher können durch Glasscheiben in die Käserei blicken. Abgepackt lässt sich der Käse gut transportieren. Auch Tees von Bergkräutern oder lokale Schnäpse sind dort als Mitbringsel zu kaufen.

 

TIPP-LITERATUR:  Auch wenn Tirol kein klassisches Gartenreiseland ist, hat der Autor doch 60 öffentlich zugängliche Gärten und Parks zusammengetragen – von 200 Quadratmetern bis 20 Hektar Größe. Der kleine Reiseführer verschafft einen schnellen Überblick über die sehr unterschiedlichen Gärten in der Alpenlandschaft. Der Autor arbeitet in Tirol als Landschaftsarchitekt.
Clemens Enthofer, Die schönsten Gärten und Parks. Nordtirol, Südtirol, Osttirol, Trentino, Tyrolia Verlag/ Verlagsanstalt Athesia, 2011, ISBN 978-3-7022-3125-5
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