Pflanzenidylle mit Mittelalter-Feeling
Giebel und Gassen, aber keine Gärten hatte ich in Rothenburg ob der Tauber erwartet. Doch tatsächlich gibt es in der weltberühmten Stadt in Franken eine ganze Reihe von geheimen Gartenrefugien zu entdecken. vonREISENundGAERTEN hat die versteckten Gärten in Rothenburg ob der Tauber für Sie aufgespürt – und zwischen mittelalterlichen Gassen grüne Orte der Ruhe und Beschaulichkeit gefunden.
Versteckte Gärten in Rothenburg
Auf den ersten Blick sind die geheimen Gärten in Rothenburg ob der Tauber nicht zu erkennen. Zwar erblicken die aufmerksamen Augen der Besucherin Rosen, die an Fassaden hochwachsen, Blumentöpfe vor den Fenstern und Hauseingängen und so manches bepflanzte Mini-Eckgärtchen, doch wirkliche Gärten sind zunächst nicht zu sehen.
Burggarten
Eine Ausnahme macht da der Burggarten an der westlichen Spitze von Rothenburg ob der Tauber. Den besucht fast jeder Gast der Stadt. Einmal durch das mächtige Burgtor spaziert, öffnet sich ein Park, der im englischen Stil umgestaltet wurde.
Wo man auch sucht: Keine Burg ist zu finden, was doch ungewöhnlich für einen Burggarten ist. Doch ein Erdbeben hat die ehemalige Stauferburg im Spätmittelalter zerstört. Die Rothenburger haben die Reste als Steinbruch für den Häuserbau genutzt und auf dem Burggelände bot sich Platz für einen Garten an. Aus Unheil kann auch Schönes entstehen.
Zunächst legte man einen Barockgarten an. Die mit Lavendel eingefassten, rechteckigen Blumenbeete neben dem großen Gärtnerhaus erinnern daran. Barocke Figuren mit Patina recken sich aus den Rabatten.
Ab dem 18. Jahrhundert wurden die Linden gepflanzt, die heute noch Schatten spenden. Früher hoffte man darunter auf „gelinde Urteile“, heute turteln Liebespaare unter den mächtigen Ästen mit den herzförmigen Blättern.
Topplerschlösschen
Weit in die Ferne geht der Ausblick vom Burggarten auf das grüne Taubertal. Vor lauter Gehölzen ist der Fluss Tauber fast nicht zu sehen. Dafür sticht das berühmte Topplerschlösschen ins Auge. Der mittelalterliche Wohnturm, der samt seinem historischen Mobiliar besichtigt werden kann, steht in einem wildromantischen Obstgarten. Noch ein Exemplar der Gärten in und um Rothenburg ob der Tauber.
Blick in die Gärten von der Stadtmauer aus
Nie hätte ich erwartet, dass es in der eng bebauten Stadt überhaupt große Gärten geben könnte. Dicht drängen sich die mittelalterlichen Häuser in den Gassen aneinander. Doch ein Spaziergang auf der 3,5 Kilometer langen, überdachten Stadtmauer lässt auch über und hinter die Mauern schauen.
Gärten in Rothenburg ob der Tauber
Aus luftiger Höhe eröffnet sich mir ein spektakulärer Blick nicht nur auf einige der insgesamt 42 Türme der Altstadt, sondern auch in geheime Gartenrefugien. Die Vogelperspektive macht es klar: Zwischen den Jahrhunderte alten Gebäuden wächst und gedeiht es. Rothenburg ob der Tauber ist eine grüne Stadt. Zwischen Fachwerkhäusern, kopfsteingepflasterten Straßen und Torhäusern warten blumen- und blätterreiche Überraschungen. Die Gärten in Rothenburg ob der Tauber wollen gesucht und gefunden werden.
Nur wie gelangt man in diese privaten Gärten in Rothenburg? Das aktuelle städtische Programm ‚Rothenburger Gartenparadiese‘ ermöglicht dies. Nach Voranmeldung können Besucher private Stadtgärten besichtigen.
Freundlich freche Fränkin: Hilde Kistenfeger
Im Garten von Hilde Kistenfeger steht der gedeckte Kaffeetisch zwischen bunt blühenden Blumen. Die Fränkin liebt es, sich mit Freundinnen in ihrem Ziergarten mitten in der Altstadt von Rothenburg zu treffen. Je nach Sonnenstand kann man in den unterschiedlichsten Ecken ihres Gartens für eine Tasse Kaffee Platz nehmen.
Rosen, Iris und Pfingstrosen zählen zu ihren Lieblingsblumen. Dazwischen stehen Figuren zur Dekoration und Metallskulpturen. Hauptsache Vielfalt.
Natürlich weiß die begeisterte Gärtnerin, dass die Gärten in Rothenburg früher eine andere Funktion hatten. „Einst dienten unsere Altstadtgärten rein zur Selbstversorgung“, erklärt Hilde Kistenfeger. „Neben Gemüsebeeten, Beerensträuchern und Obstbäumen gab es mitten in Rothenburg sogar Kartoffeläcker.“
Einen Bereich ihres Gartens hat sie für Kräuter und Salat reserviert. Gerne kommt übrigens ihr Sohn Simon vorbei. Der international tätige Bartender, der in der Altstadt eine angesagte Bar führt, pflückt dann im Garten seiner Mutter frische Zutaten für seine neuen Cocktailkreationen.
Streit um Grund, Gärten und Geschichte in Rothenburg
Wohl dem, der in der Stadt einen Garten sein Eigen nennen kann. Dies galt auch schon in der Vergangenheit. Im Stadtarchiv von Rothenburg ob der Tauber beweisen Dokumente, dass schon im Jahre 1347 um die Zuteilung von Gärten gestritten wurde. Eine Liste aus dem Jahr 1460 belegt 218 Grundstücke in Größen von acht bis 77 Quadratmeter auf. Heute sind viele Gärten reichlich größer.
Regina Flemming: Stadtmauer im Blick
Vom Treiben in den Altstadtgassen bekommt Regina Fleming in ihrem Garten nicht viel mit. Das großzügige Areal ist eingefriedet und garantiert Ruhe. Eine gut 30 Meter lange doppelte Buchshecke teilt das Gelände: auf der einen Seite das uralte Gartenhaus mit originalen Butzenscheiben und zwei ehrwürdige Eiben davor und auf der anderen Seite die Rasenfläche mit Teich und Sonnenterrasse.
„Die ungewöhnlichen Figuren zwischen den Büschen sind unsere Ziele für das Bogenschießen“, erklärt die Gärtnerin, die ursprünglich aus der Steiermark stammt. Darunter und dazwischen wachsen Hostas und Hortensien, ihre Lieblingspflanzen. Schaut man nach oben in die Baumwipfel, schiebt sich die nahe Stadtmauer ins Blickfeld.
Der Garten von Benjamin Babel: Natur am Hang
Benjamin Babel möchte es in seinem Garten so naturnah wie möglich halten. Direkt an der Stadtmauer wachsen in Hanglage auf einer Streuobstwiese alte Pflaumen-, Apfel-, Birnen- und Quittenbäume.
„Vor einiger Zeit haben wir einen über 100 Jahre alten Weinstock ausgegraben, der irgendwie überlebt hat“, freut sich der geborene Rothenburger, der vor einigen Jahren in seine Heimatstadt zurückgekehrt ist. „Aus den Trauben mache ich Marmelade.“
Sein Garten ist seit langem in Familienbesitz. Benjamin Babel sieht sich als Treuhänder, der das grüne Refugium pflegt und irgendwann an die nächste Generation weiter geben wird. Bis dahin freut er sich riesig, wenn sein Garten für wilde Tiere attraktiv ist. „Hier wohnt die seltene Schwarze Hornisse“, sagt er lächelnd und deutet auf einen Steinhaufen.
Das Besondere in diesem naturnahen Hanggarten ist das verträumte ‚Malerhäuschen‘, das etwa 1880 erbaut wurde. Rothenburger Künstler nutzten das romantische, gelb gestrichene Gebäude lange Zeit als Atelier. Öffnet man seine grünen Fensterläden, ist der Blick frei auf das idyllische Tal der Tauber.
Pittoreske Ausstellung zum Landschaftsgarten in Rothenburg
So waren es Künstler, die im 19. Jahrhundert Rothenburg ob der Tauber nach einem langen Dornröschenschlaf wiederentdeckten. Carl Spitzweg war da. Später kam auch Wassily Kandinsky. Vor allem deutsche und englische Maler fühlten sich davon angezogen, beeindruckt von der dekorativen Architektur der alten Reichsstadt und ihrer harmonischen Lage im Taubertal. „Rothenburg wurde zum Kristallisationspunkt der deutschen Romantik“, sagt Hellmuth Möhring, der Leiter des Rothenburg-Museums.
Die Ausstellung ‚Pittoresk – Rothenburg ob der Tauber als Landschaftsgarten‘ zeigt viele idyllische Altstadtbilder des englischen Malers Arthur Wasse, der lange in Rothenburg lebte. Auf seinen Gemälden sind die Gärten zwischen den Altstadthäusern deutlich zu erkennen. Mein Favorit ist das lesende Mädchen, das in einem blühenden Garten mit einem Buch auf einer Wiese liegt.
Die ambitionierte Ausstellung im RothenburgMuseum setzt sich nicht nur mit dem Begriff des Pittoresken auseinander, sondern beschäftigt sich auch mit der verkitschten, biedermeierlichen Darstellung Rothenburgs.
Rothenburg goes London
Aber nicht nur Maler aus dem Ausland hat die fränkische Kleinstadt um 1900 inspiriert, sondern auch Architekten. So diente Rothenburg ob der Tauber als Vorbild für die Londoner Gartenstadt Hampstead Garden Suburb. Da sind Türme, Dach- und Fensterformen deutlich wiederzuerkennen. Die Gartenstadtbewegung war ein Gegenentwurf zu den durch die Industrialisierung entstandenen Massenunterkünften in den Großstädten.
Wie später deutsche Architekten wie Hermann Muthesius für ihre Gartenstadtplanungen einen ‚Rück-Import‘ dieser englischen Vorbilder übernahmen, schildert die Ausstellung ‚Rothenburg in London‘, die ebenfalls im Rothenburg-Museum läuft. Auch die deutsche Gartenstadt Hellerau bei Dresden gilt als von Rothenburg beeinflusst.
Mit den anspruchsvollen Ausstellungen will man in Rothenburg ein kulturell interessiertes Publikum erreichen. „Die Zeit von Rothenburgs Image als Heizdecken-Kaffeefahrt-Destination ist vorbei“, sagt der Tourismusdirektor von Rothenburg, Jörg Christöphler.
Inspirierende Ruhe im Klostergarten in Rothenburg ob der Tauber
Übrigens befindet sich das RothenburgMuseum im Gebäude des ehemaligen Klosters der Dominikanerinnen. Der alte Klostergarten ist in Teilen reaktiviert und öffentlich zugänglich. Wer Ruhe in Rothenburg sucht, ist hier richtig.
Auch Hannelore Hochbauer kommt gerne in den Klostergarten mit den Wildblumenwiesen. Bei ihren literarischen Gartenführungen trägt die Leiterin der Stadtbücherei Gedichte im Grünen vor. Dazu erzählt sie von der Geschichte der Gärten und ihren Pflanzen. „Die Mispel zum Beispiel ist typisch für Klostergärten“, erläutert die Garten- und Literaturliebhaberin, „der Baum wurde von den Römern in Bayern eingeführt.“
Park des Wildbads: Skulpturen im ‚Tauber‘-Garten
Auch vor den Toren der Stadt gibt es Gärten zu entdecken. Im Wildbad Rothenburg spaziert die Besucherin durch einen naturnahen Landschaftsgarten, den die Tauber durchzieht. Das mächtige Gebäude aus der Kaiserzeit ist heute eine Tagungsstätte mit Hotel.
Doch gerade im malerisch an der Tauber gelegenen Wildbad-Park wird mitten im Grünen mit mancher Klischeevorstellung gebrochen. „Unseren Garten haben wir über die Jahre in einen Skulpturenpark mit zeitgenössischer Kunst verwandelt“, erläutert Stephan Michels von der ansässigen Evangelischen Tagungsstätte.
Mitten im Dickicht steht eine Figurengruppe, die moderne Nomaden darstellt. Wie in der Welt Verlorene scheinen sie laut- und bewegungslos durchs Gebüsch zu irren.
Unweit davon eine Lichtinstallation, welche Worte zwischen Blättern nachts leuchten lässt. Der ‚Atem der Welt‘, ein Zitat von Johann Wolfgang von Goethe, durchhaucht selbst die schönste Idylle. Tief sauge ich diese sinnliche Erfahrung der Natur ein, dann wirken die Rothenburger Gärten auf mich wie Zeichen der Lebendigkeit.
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WAS IST NOCH GUT ZU WISSEN?
INFORMATIONEN: Rothenburg ob der Tauber liegt in Mittelfranken etwa 100 Kilometer westlich von Nürnberg an der Straße der Romantik.
Besichtigungen der Privatgärten sind über das Tourismusbüro zu buchen, ebenso die literarische Gartenführung. Eine eigene Broschüre stellt die ‚Rothenburger Gartenparadiese‘ (hier als pdf) vor. Der Burggarten und der Garten im Wildbad sind frei zugänglich ohne Eintritt. Auch im Taubertal außerhalb von Rothenburg sind weitere versteckte Gärten zu entdecken.
ÜBERNACHTEN: Mitten in der Altstadt können Sie auch in Ferienwohnungen übernachten. Die Ferienappartements vom ‚Edelzimmer‘ befinden sich in einem viele Jahrhunderte alten Gebäude. Die mehr als einen Meter dicke Wand und die alten Eichenholzbalken vermitteln ein rustikales Gefühl. Das Rothenburg-Museum und der Klostergarten liegen nur wenige Meter entfernt.
EXTRA-TIPP: Neben dem Rothenburg-Museum ist das Mittelalterliche Kriminalmuseum sehr zu empfehlen. Es erläutert tausend Jahre Rechtsgeschichte. Das Museum „bietet mehr als ‚50 shades of Folter‘“, sagt der Museumsleiter Markus Hirthe. Dazu gehört auch, den gruseligen Mythos der Eisernen Jungfrau zu entlarven, eines der populärsten Exponate der Sammlung. „Das vermeintliche mittelalterliche Folterinstrument ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts“, gibt der Museumsdirektor preis.
Wer beim Käthe-Wohlfahrt-Weihnachtsmuseum ausschließlich dekorativen Christbaumschmuck erwartet, irrt. Das Museum, welches sich im Gebäude des Weihnachtsdorf-Geschäftes befindet, präsentiert die Geschichte des Weihnachtsschmucks – ein Stück Kulturgeschichte. In diesen Räumen weihnachtet es das ganze Jahr über.
TIPP ESSEN UND TRINKEN: Wer Franken kennt, weiß, dass Speisekarten sich hierzulande zumeist als Minenfelder für Vegetarier oder Veganer erweisen. Schäufele und Bratwürste dominieren das Feld der fränkischen Küche auch in Rothenburg. Anders bei Simon Kistenfeger. Der international vernetzte Barkeeper kehrte nach Stationen in Mexiko und Australien zurück in seine Heimatstadt und eröffnete das erste vegane Lokal Rothenburgs. Für ihn ist Rothenburg die „kleinste Weltstadt der Welt“. Seine Bar ‚Mucho Amor‘ unweit des Marktplatzes bietet im Sommer Stühle im Freien an.
Die Bar ‚Mucho Amor‘ und das Restaurant ‚Villa Mittermeier‘ bieten auch Picknick-Körbe und -Rucksäcke an. Neben dem Cocktail-to-go steckt im Gepäck ein Plan mit romantischen Sundowner-Plätzen in Rothenburg und an der Tauber.
Die Weinstube ‚Zur Höll‘ ist eine Institution in Rothenburg ob der Tauber. Bei einer Weinprobe in dem Lokal sollte man alte Glaubenssätze über Bord werfen. „‘Fränkischer Wein schmeckt erst beim 3. Schoppen‘ gilt längst nicht mehr“, versichert Klaus Wörle, der sich auf Weine aus Franken spezialisiert hat. Der 68-jährige Wirt serviert seiner Kundschaft Silvaner, Riesling oder Tauberschwarz von fränkischen Prädikatsweingütern.
LITERATUR-TIPP: Der Katalog zu den Sonderausstellungen „Pittoresk – Rothenburg als Landschaftsgarten“ birgt aufschlussreiche Texte und viele farbige Bilder der Gemälde.
Hellmuth Möhring (Hg.), Pittoresk, Museumsheft Nr. 9, RothenburgMuseum, 2020, ISBN: 978-3-944109-46-6
WEITERE INFOS ZUM REISEORT Rothenburg ob der Tauber: www.rothenburg-tourismus.de (Webseite des Tourismusbüros)
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