Das Hirschberger Tal in Niederschlesien im Westen Polens ist eine der schlösserreichsten Gegenden in Europa. Einige der inzwischen aufwändig restaurierten Schlösser, Burgen und Herrenhäuser sind in Hotels umgewandelt. Dort kann man nicht nur vortrefflich übernachten und in den großzügigen Schlossparks flanieren, sondern auch die engagierten Schlossherren kennenlernen.
Schloss Lomnica (Lomnitz)
Elisabeth von Küster ist eine Schlossherrin, wie man sie nicht unbedingt erwartet. Gerade hat sie beim Rosenpflanzen noch selbst Hand angelegt, die Handwerker in ihrem barocken Schloss Lomnica (Lomnitz) angewiesen, danach mit den Gärtnerinnen des Küchengartens die Auswahl alter Gemüsesorten besprochen und schließlich neue Gäste in ihrem Schlosshotel begrüßt. Bei allem verliert sie nie die Ruhe. Mit einem Lächeln bewältigt die schlanke Frau ihr Tagesprogramm.
Neuanfang nach 1990
Die Vorfahren ihres Mannes, die Familie von Küster, besaß Schloss Lomnitz von 1835 bis 1945. Niederschlesien wurde nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils Polen zugeschlagen und die ehemaligen Schlossbesitzer enteignet. Nach der Wende beschloss das damals junge Paar von Küster, die zwischenzeitlich verfallene Schlossanlage entgegen dem Rat der Familie zurückzukaufen.
„Wir waren Anfang der 1990er Jahre die ersten Deutschen hier“, erzählt Elisabeth von Küster, Jahrgang 1971, deren Ehemann als Richter in Görlitz arbeitet. Doch die anfänglichen Ressentiments haben sich in Anerkennung verwandelt. Über die Jahre ist die schön komponierte Schlossanlage wieder zum Leben erweckt worden.
Landschaftspark nach Lenné
Die Familie hat den von Josef Lenné und Fürst Pückler geplanten Englischen Landschaftspark rund um das Schloss mit viel Mühe wiederhergestellt. Und im ummauerten Küchengarten sprießen wieder Kräuter und Gemüse. Besucher kaufen in neu entstandenen Läden im ehemaligen Gutshof hausgemachte Marmelade oder im Leinsamenspeicher aus dem 18. Jahrhundert Textilien aus Leinen. Der Stoff bescherte Niederschlesien einst Reichtum.
Witwenschloss als Hotel
Das barocke Hauptschloss verwandelten die von Küsters in ein Museum und das großzügige „Witwenschloss“ von 1803 gleich daneben in ein charmantes Hotel. Quasi nebenbei hat Frau von Küster während dieser Zeit des Wiederaufbaus fünf Kinder geboren.
Im Hotel genießt der Gast historische Wohnkultur mit modernem Komfort. Die Zimmer wurden mit neu angeschafften Antiquitäten ausgestattet, denn in keinem Schloss in Niederschlesien ist das originale Mobiliar erhalten. Die feine Belle Etage präsentiert sich als heller, luftiger und großzügiger Frühstückssalon, in welchem der Kaffee noch in edlen Porzellankannen serviert wird.
Orte für Schlösser- und Gartenfans
„Ich bin ein Denkmal-Fan“, gesteht Elisabeth von Küster. Das möchte man der gebürtigen Potsdamerin gerne glauben. Mit Schloss Lomnitz lebt sie diese Leidenschaft voll aus – zum Vergnügen ihrer Gäste. Längst sind diese nicht mehr nur nostalgische Schlesien-Schwärmer, sondern einfach natur- und landschaftsinteressierte Schlösser- und Gartenfans.
Der Schlosspark
Im Schlosspark grasen Schafe auf der Weide, Weinbergschnecken wandern über Felssteine. Der geschwungene Spazierweg durch das neun Hektar umfassende Gelände führt am Fluss Bober entlang. Einst bildeten die Gärten auf beiden Flussseiten ein Lenné‘sches Gesamtkunstwerk.
Durch das Grün der Uferbäume leuchtet auf der anderen Seite des Flusses die weiße Fassade von Schloss Wojanów (Schildau) durch. Das hohe Gebäude im polnischen Besitz wird seit 2008 ebenfalls als Hotel genutzt.
Das Prinzesinnenschloss
Mit seinen vier Ecktürmen wirkt Schloss Schildau wie aus einem Märchenbilderbuch. Da passt es, dass es 1832 für Prinzessin Luise von Preußen gekauft wurde. Das Hirschberger Tal war im 19. Jahrhundert der Ort der Sommerfrische für den preußischen Adel, das „Mallorca der preußischen Noblesse“, wenn man so möchte. Die preußische Königsfamilie besaß in Niederschlesien mehrere Sommerresidenzen. Die Hohenzollern ließen die Schlösser von angesagten Baumeistern wie Schinkel und Stüler meist im neogotischen Stil umgestalten.
Riesengebirge für Romantiker
Die sanft hügelige Landschaft des Riesengebirges faszinierte auch die Romantiker. Caspar David Friedrich malte sie. Und selbst Goethe war da. Er wollte unbedingt auf die Schneekoppe klettern. Sie überragt alle Gipfel des Riesengebirges.
Schloss Pakoszów (Wernersdorf)
Schnurgerade führt der mit Blumenrabatten gesäumte Weg vom Parktor bis zum stattlichen Barockgebäude vom nahegelegenen Schloss Pakoszów (Wernersdorf). Seit 2004 haben Hagen und Ingrid Hartmann in jahrelanger Arbeit aus dem verfallenen Gebäude ein Schlosshotel mit 23 elegant möblierten Zimmern gemacht. Warum? Alte Familienbande.
Kachelstübchen im Schloss
„Meine Familie bewohnte das Haus einst“, erklärt Hagen Hartmann. „Drei Mal war der alte Fritz bei meiner Urgroßmutter zu Besuch.“ Der in Breslau geborene Nephrologe verspürte eine innere Verbundenheit. Diese Motivation ließ die Hartmanns zu „Teilzeit-Schlossherren“ werden. Auch mit 77 Jahren pendelt das Ärztepaar immer noch zwischen dem Saarland und Wernersdorf hin und her.
Stolz zeigt Hagen Hartmann den renovierten großen Ballsaal mit seinen farbigen Deckenfresken. Ein absolutes Highlight ist das sogenannte Kachelstübchen, ein Zimmer mit 1000 handbemalten Kachel-Unikaten aus dem holländischen Delft an den Wänden. Wie durch ein Wunder hat das Delfter Zimmer die Zeiten von Krieg und Stalinismus überstanden.
Leinen als Urspung
Im wirtschaftlich florierenden Niederschlesien investierten nicht nur Fürsten und Könige, sondern auch wohlhabende Kaufleute in Herrenhäuser. Die „Schleierherren“ verdienten mit dem sogenannten Schleierleinen oft mehr Geld als der ansässige Adel. Ingrid Hartmann präsentiert einige Stücke dieses feinen Stoffes, der sich wie ein zarter Hauch anfüllt. Klar, dieses Stoffjuwel ließ sich teuer verkaufen.
Das Ungewöhnliche an Schloss Wernersdorf: Dort wurde auch produziert. 300 Arbeiter bleichten einst Leinen im Erdgeschoss. In diesen Räumen mit hohen Decken werden heute Gästen des Gourmetrestaurants anspruchsvolle Köstlichkeiten serviert. Und als Dessert gibt es Sorbet mit Minze aus dem schlosseigenen Kräutergarten.
Eines haben die Schlösser, so unterschiedlich sie auch sein mögen, fast alle gemeinsam: den Blick auf die Schneekoppe. Auf dem legendären Berg soll man Gott besonders nahe sein, heißt es. Für einen Schlosspark in Niederschlesien war es bei der Gestaltung zwingend, dass sich ein Blick auf den höchsten Berg des Riesengebirges ergab. Doch meist war diese wohl geplante Sichtachse über die Jahre mit Bäumen zu gewuchert. Inzwischen kann der Parkflaneur in den renovierten Schlossgärten aber wieder einen Blick auf die meist schneebedeckte Spitze des bekanntesten Berges der Region erhaschen.
Schloss Staniszów (Stonsdorf)
Auch im Landschaftsgarten von Schloss Staniszów (Stonsdorf) ist die Sichtachse auf die Schneekoppe wieder freigelegt. „Insgesamt 40 Bäume mussten wir dafür entfernen“, sagt Waclaw Dzida. „An anderen Stellen pflanzen wir viel.“ Der Schlossbesitzer spaziert schon am frühen Morgen mit seinem Hund durch den Landschaftspark. Natürlich gestaltet wirkt er mit seinen geschwungenen Wegen, alten Eichen, Rotbuchen und Fischteichen und dem Hügel. Zwischen riesenhaften Felsformationen wachsen unter Bäumen Heidelbeeren. „Die sammeln wir für den „Stonsdorfer“, unseren berühmten Kräuterschnaps“, erläutert Waclaw Dzida weiter.
Beim Fahrradfahren hatte der Hotelier das spätbarocke Schloss zufällig entdeckt. Oder war es Fügung? Nach jahrelangem Leerstand zeigte sich das Herrenhaus völlig verwahrlost. „Die Zeit des Kommunismus war eine Katastrophe für solche Häuser“, meint der Pole in ausgezeichnetem Deutsch. Dzida hat sich trotzdem verliebt und die Schlossanlage 2001 gekauft.
Aufwändige Renovierung
Bei der Renovierung ließ er äußerste Sorgfalt walten. „Wir versuchten, möglichst nah an das Original heranzukommen und dem ehemaligen Fürstensitz seine Pracht wieder zurückzugeben.“ Längst sind die Holztäfelungen von Ölfarbe befreit, die Parkettfußböden restauriert, Stuckaturen an Kaminen, Decken und Wänden freigelegt und Wandfresken entdeckt.
Adelssitz in idyllischer Lage
Von Anfang an war der Plan, aus dem Adelssitz in idyllischer Lage ein individuelles Hotel zu erschaffen. Um die Innenausstattung hat sich Dzidas Ehefrau Agata gekümmert. Sie kennt sich aus. Die Kunsthistorikerin hat über deutsche Kunst in Niederschlesien promoviert. Agata Rome-Dzida führt auch die Kunst- und Möbelgalerie auf dem Schlossgelände.
Tapeten aus Frankreich
Die Gästezimmer und Flure im Schloss sind mit Antiquitäten ausgestattet, die Wände mit edlen Tapeten mit historisch anmutenden Mustern. Die lassen die Dzidas eigens in Frankreich drucken. Das Resultat: eine stilvolle Atmosphäre zum Wohlfühlen mit Schlossherren-Feeling.
Schloss Karpniki (Fischbach)
Eher wie eine mittelalterliche Burg wirkt Schloss Karpniki (Fischbach) – mit hohem Turm, Wassergraben und zwei Kanonen vor dem mächtigen Eingangstor. 1822 kaufte Prinz Wilhelm von Preußen die sagenumwobene Tempelritterburg. Schloss Fischbach entwickelte sich im Sommer zum Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens und das Hirschberger Tal wurde in ganz Europa bekannt. Alle kamen, auch Alexander von Humboldt, ebenso der Zar von Russland.
Schloss voller Antiquitäten
Fast 200 Jahre später entschied sich Jacek Masior, ein polnischer Bauunternehmer mit einem Faible für historische Architektur, das mächtige Gebäude zu kaufen, zu renovieren und 2014 als Hotel zu eröffnen. „Endlich hatte mein Vater Platz für seine jahrelang gesammelten Antiquitäten“, schmunzelt sein Sohn Wojciech Masior.
Der Vierzigjährige leitet das Schlosshotel und wohnt selbst im Gemäuer. Er zeigt die herrschaftlichen Räume, in welchen sich Prinzen und Prinzessinnen königlich amüsierten: im „Blauen Zimmer“ mit gotischem Gewölbe und Sternen an den Decken, im „Roten Salon“ mit den großen Ganzkörpergemälden der deutschen Kaiser Wilhelm I. und II. oder im lieblichen „Stickerei-Zimmer“ mit den Blumenmustern an den Wänden, die als Stickereivorlage dienten.
Die Hotelzimmer sind edel ausgestattet. Die Decke der größten Suite stammt aus dem 16. Jahrhundert. Und Gespenster, gibt es die hier auch? „Ich habe noch keine getroffen“, versichert Wojciech Masior, „aber wenn ja, dann bestimmt nur gute.“
„Schlesische Elysium“
Kein Schloss ohne Park. Der Landschaftsgarten von Fischbach ist fünf Hektar groß und wurde ursprünglich vom königlichen Gartenbauarchitekt Josef Lenné, ein Star seiner Zeit und seines Metiers, gestaltet. Das Ensemble mit künstlichen Ruinen, Skulpturen und dem Mariannen-Cottage bildete das „schlesische Elysium“. Wie damals die adligen Gäste sollen die Besucher von heute dort Erholung finden.
Schloss Uroczysko 7 Stawów (Zu den sieben Teichen in Guhlau)
Erholung finden auch die Gäste im Hotel auf Schloss Uroczysko 7 Stawów (Zu den sieben Teichen) in Gola Dzierżoniowska (Guhlau), ein Stück hinter dem Hirschberger Tal in Richtung Breslau. Warum? Die abgeschiedene Lage, das luxuriöse Ambiente und die Umgebung aus naturbelassenen Wäldern. Schon die Einfahrt in das gepflegte Gelände strahlt Ruhe aus. Da geht es vorbei an modern angelegten Beeten zum Schlossgebäude aus der Renaissance.
„Außen historisch – innen modern“
„Es war mein Jugendtraum, ein Schloss zu besitzen“, sagt Marek Gendaj auf Deutsch. Der polnische Unternehmer, der lange im Ausland arbeitete, musste zwölf Jahre lang für diesen Traum renovieren. Bäume wuchsen aus dem Gebäude, als er es kaufte. Bei der Sanierung ist ihm die Kombination „außen historisch – innen modern“ gut gelungen. Kunstwerke polnischer Künstler schmücken die Flure und den Garten. Auch in diesem Schloss ist die Kunst Sache der Ehefrau. Wie praktisch, dass Anna Gendaj in Wroclaw (Breslau) eine Galerie führt.
Gemüse im Schlossgarten
Gerne essen die beiden im haubengekrönten Hotelrestaurant, in dem auch vegan gekocht wird. Die Kräuter stammen aus dem eigenen biologischen Gemüsegarten des Schlosses. „Wir sind das erste Restaurant in Polen, das eine eigene vegane Küche für das Restaurant hat“, berichtet Anna Gendaj und nippt an ihrem Bio-Apfelsaft. Der wird auf dem Gut des Schlosses selbst hergestellt.
Die Schlosshotels in Niederschlesien eint ihre gemeinsame Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Schritt ins Heute könnte jedoch nicht unterschiedlicher ausfallen. Schön für den Gast, der die Vielfalt liebt.
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WAS IST NOCH GUT ZU WISSEN?
Schloss Lomnica (Lomnitz): Im Barockschloss ist ein Museum mit einer multimedialen Ausstellung über Schlösser im Hirschberger Tal und dem Alltagsleben in einem Schloss eingerichtet. In den Tiefen des Schlosskellers hat man die ehemalige Küche museal ausgestattet. Jedes Jahr im Juni findet ein großes Schlossfest statt. www.palac-lomnica.pl
Schloss Pakoszow (Wernersdorf): Ingrid Hartmann veranstaltet auf dem Schloss auch Gesundheitswochen mit Fachvorträgen von Ärzten und Begleitprogramm. www.palac-pakoszow.pl
Schloss Staniszow (Stonsdorf): Auf dem Gutshofgelände verfügt das Hotel über einen großzügigen Spa-Bereich mit Innenschwimmbad und Liegeterrasse, sowie über weitere modern und originell möblierte Hotelzimmer. Im Laden des „Maison de Rome Interior Design“ können neben Keramik aus Bunzlau auch Gemälde von zeitgenössischen polnischen Malern aus Niederschlesien erworben werden. www.schlossstonsdorf.de
Schloss Karpniki (Fischbach): Das Hotel wird ökologisch mit Thermalwasser beheizt. Auch die Badezimmer werden mit dem heilkräftigen Wasser gespeist. www.zamekkarpniki.pl
Schloss Uroczysko 7 Stawow – Zu den sieben Teichen (Guhlau): Das Hotel hat einen historischen Nebentrakt renoviert und 2018 weitere Hotelzimmer geschaffen. www.uroczysko7stawow.pl
ESSEN UND TRINKEN: Alle genannten Schlosshotels verfügen über ein Restaurant mit gehobener, teils Gourmet-Küche.
WEITERE SCHLÖSSER & GÄRTEN & SEHENSWÜRDIGKEITEN IN DER NÄHE:
Schloss Ksiąź (Fürstenstein) mit Führung auf den Spuren der schönen Gräfin Daisy; die UNESCO-Weltkulturerbe Friedenskirche in Świndnica (Schweidnitz) mit Platz für 7500 Menschen.
Schloss Kliczków, in welchem Kaiser Wilhelm II. häufiger weilte, heute ein Hotel.
ANREISE: Per Bahn oder Auto nach Jelenia Góra (Hirschberg) oder per Flugzeug bis Wrocław (Breslau) und von dort per Bahn weiter bis Jelenia Góra oder gleich mit dem Mietwagen in Richtung Südwesten.
REISEZEIT: Die Schlösser sind meist ganzjährig geöffnet. Wer die Gärten und Parks genießen möchte, sollte im Frühjahr, Sommer oder Herbst reisen.
WEITERE INFOS ZUM REISELAND Polen: www.polen.travel (deutschsprachige Website des Polnischen Fremdenverkehrsamtes)
©DDAVID – Alle vonREISENundGAERTEN-Fotos unterliegen dem Urheberrecht und dürfen nicht ohne Erlaubnis verwendet werden.
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