Die Sümpfe von Esteros del Iberá zählen für mich zu den schönsten Orten der Welt. Eine Reise in diesen Wasser-Garten in Südamerika ist ein absoluter Geheimtipp für Natur-, Pflanzen- und Tierliebhaber mit einer sagenhaften biologischen Vielfalt. Das riesige Biotop in Argentinien gleicht einem Garten, angebaut von der Natur. In seiner unverbauten Ursprünglichkeit stellt sich mir unweigerlich die Frage: Könnte so der Garten Eden ausgesehen haben?
Bei den Pflanzen und Tieren in den Sümpfen von Iberá
Schon die Anreise ist Teil des Abenteuers. Das geländegängige Fahrzeug kämpft sich über die holprige Straße von der Kleinstadt Mercedes zur Sumpflandschaft von Iberá in der Provinz Corrientes im Nordosten Argentiniens. Nach 120 Kilometern, vielen Schlaglöchern und noch mehr Geduld, ist das Dorf Colonia Carlos Pellegrini erreicht, der Zugangsort zu dem riesigen Naturschutzgebiet ‚Esteros del Iberá’, eine amphibische Welt mit einer überbordenden Flora und Fauna. Ein Garten ohne Gärtner, der die Besucher zum Staunen bringt.
Leuchtendes Wasser
„Iberá bedeutet in der Sprache der Indianer soviel wie ‚glänzendes, leuchtendes, scheinendes Wasser‘“, erklärt José Martin, der Touristen in der Gegend herumführt. Der Argentinier, der einer Gauchofamilie entstammt, beherrscht noch die Sprache der Ureinwohner: Guaraní. Sie wird tief im Hals gesprochen und klingt etwas glucksig.
Und tatsächlich, die Wasseroberfläche funkelt und glitzert, als das Motorboot in die Lagune von Iberá einbiegt. Wie ein feuchter Garten Eden wirkt diese Wasserlandschaft aus Sümpfen, Lagunen und schwimmenden Inseln. Mit 13.000 Quadratkilometern ist das Sumpfgebiet gut fünfmal so groß wie das Saarland. Kormorane und Geier fliegen auf, zwei von über 350 ansässigen Vogelarten. Die Sümpfe von Iberá sind nicht umsonst ein Magnet für Vogelbeobachter aus aller Welt.
Vogelparadies
Mit weißem Gefieder, schwarzem Kopf und einem roten Halskranz ragt der 1,20 Meter große Jabiru deutlich aus der grünen Landschaft. Seine Art gilt als bedroht. „Früher habe ich Vögel gejagt“, sagt José Martin, „es entsprach der Tradition.“ Doch inzwischen ist die Jagd verboten. Und mancher Jäger wurde zum Naturschützer. José hat sogar ein eigenes, privates Naturreservat mit einem subtropischen Wald geschaffen.
Jäger wird Naturschützer
„Einst lebten Indianer auf den langsam im Wasser treibenden Inseln“, erzählt José weiter. Diese schwimmenden Matten können mehrere Hektar groß und bis zu zwei Meter dick werden. Es wachsen dort Gräser, Schilfe, kleine Bäume, sowie grazile Wasserhyazinthen, Lilien oder Orchideen – ein üppiger Lebensraum für eine Vielzahl von Tierarten.
Der Bootsführer schaltet den Motor ab und stochert jetzt wie ein venezianischer Gondoliere mit einem Holzstab durch das niedrige Wasser. Mit großen Augen guckt ein Sumpfhirsch in die Objektive der Kameras und frisst dann einfach weiter. Viele Tiere lassen sich aus allernächster Nähe beobachten, ohne die Flucht zu ergreifen.
Krokodile überall
Eine Familie von Wasserschweinen schwimmt vorbei. Die riesigen Nagetiere sehen aus wie zu groß geratene Meerschweinchen. Unaufhörlich mampfen sie Gräser in sich hinein. Doch wenige Meter weiter lauert einer ihrer ärgsten Feinde: ein Sumpfkrokodil.
Das Boot nähert sich dem aufgerissenen, rosafarbenen, mit spitzen Zähnen bestückten Maul des Reptils. Die Fotoapparate klicken unaufhörlich. Auch das nächste Krokodil, ein stattliches Exemplar von fast drei Metern Länge, verharrt regungslos am Ufer. Lässig hat es einen Hinterfuß wie in einer Yogastellung auf dem Rücken abgelegt. Und dann urplötzlich, im Bruchteil einer Sekunde löst es die Starre und verschwindet im Dickicht. Alle an Bord sind überrascht.
Naturschauspiel in Ruhe genießen
„Ich kann es kaum fassen, dass man dieses Naturschauspiel nicht mit Tausenden von Touristen gleichzeitig teilen muss, wie etwa bei den nahe gelegenen Wasserfällen von Iguazú“, begeistert sich Ian Argyle aus England und macht noch ein Foto. Diesmal von einem schwarzen Knäuel an einem Ast, das sich als Spinnenkolonie entpuppt. Hunderte von Spinnen sitzen aufeinander, geschützt von einem weißen, undurchdringlichen Gewebe, stabil wie Nylon.
Lory Perea Munoz zählt zu den Pionieren des Naturtourismus in den Esteros del Iberá. „Die Lagune strahlt eine seltene Magie aus“, davon ist sie überzeugt. Die Argentinierin betreibt die Posada Aguapé, eine der ältesten Lodgen in Colonia Carlos Pellegrini, wo Touristen Touren zur Tierbeobachtung machen können.
Krokodilsaugen
Einen ganz andersartigen Blick auf die Natur eröffnet eine Bootsfahrt bei Nacht. „Viele Tiere sind nur nachts aktiv“, erklärt Pedro Noilles von der Ypa Sapukai Lodge. Als sein Boot kurz vor Mitternacht ablegt, sind an Bord alle von der geheimnisvollen Stimmung über der dunklen Lagune ergriffen. Die Pflanzen sind kaum mehr zu erkennen.
Lampen strahlen die Uferzone an. Voller Erwartung folgen die Naturtouristen dem Lichtkegel. Und dann: Kleine Punkte bewegen sich paarweise auf der Wasseroberfläche, feuerrot leuchtend wie die Glut beim argentinischen Grill, dem Asado – die Augen schwimmender Krokodile, faszinierend und Furcht erregend zugleich.
WAS IST NOCH GUT ZU WISSEN?
REISEZEIT: Die idealen Reisezeiten für den feucht-warmen Nordosten Argentiniens sind Herbst und Frühjahr.
ANREISE: Von Frankfurt/a.M. mit Lufthansa oder Air France (via Paris) per Nachtflug nach Buenos Aires. Von dort fahren komfortable Busse verschiedener Anbieter durch die Nacht in die 740 Kilometer entfernte Kleinstadt Mercedes in der Provinz Corrientes. Der weitere Transfer erfolgt mit einem Taxi auf einer 120 Kilometer langen Schotterpiste bis zum Ort Colonia Carlos Pellegrini im Nordosten Argentiniens nahe der Grenze zu Paraguay und Brasilien. Für Argentinien benötigen EU-Bürger kein Visum.
TIPP- ÜBERNACHTUNG:
Ypa Sapukai Posada: www.posadadelibera.com
Aguapé Lodge: www.iberaesteros.com.ar
Ecoposada de los Esteros: José Martin hat inzwischen seine eigene Ökolodge mit Swimming-Pool. Er offeriert auch Exkursionen zu Pferde durch das Sumpfgebiet. www.ecoposadadelestero.com.ar
Estancia Rincón del Socorro (38km von C.Carlos Pellegrini entfernt): Diese geschmackvoll eingerichtete Lodge verfügt über ein Hauptgebäude von 1896 und ist im klassischen spanischen Estancia-Stil gehalten. Dort sind auch kurze Rundflüge mit einem Kleinflugzeug über sonst unzugängliche Gebiete der Lagune von Iberá möglich. Die einstige Rinderranch gehört seit 1999 der Umweltstiftung „The Conservation Land Trust“, die sich dem Erhalt des einzigartigen Ökosytems von Iberá verchrieben hat. Das 150.000 Hektar große Estancia-Areal soll in Zukunft dem argentinischen Staat geschenkt und mit dem bereits bestehenden öffentlichen Park vereint werden. So soll später der mit 700.000 Hektar größte Naturpark Argentiniens entstehen. Initiator und Hauptfinanzier dieser Naturschutzinitiative war der US-Amerikaner Douglas Tompkins, der seit vielen Jahren in Argentinien und Chile lebte. Der einstige Gründer der Textilmarke „North Face“ verstarb 2015 einem Kajakunfall. Seine unerschütterliche Vision vom Naturschutz in Südamerika lebt aber weiter.
WEITERE INFOS ZUM REISELAND Argentinien(auf Deutsch)
Lesen Sie auch den vonREISENundGAERTEN-Artikel über den Naturgarten Tulln in Niederösterreich.
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