ÖSTERREICH: Kräuterfrau Susanne Türtscher

Pflanzenmensch Susanne Türtscher

Pflanzenmensch Susanne Türtscher ©DDAVID

 

Susanne Türtscher ist eine außergewöhnliche Frau. Ihr Wesen scheint umhüllt von einer Aura, die Wissen, Weisheit und Wärme ausstrahlt. Sie ist eine Kräuterfachfrau. Doch das beschreibt sie nur unzureichend. Ihre Beziehung zu Pflanzen geht weit über das übliche Fachwissen von Inhaltsstoffen hinaus. Sie weiß vom Wesen der Pflanzen und spürt ihren Heilsbotschaften nach.

Die Österreicherin lebt am Ende des Großen Walsertals in Vorarlberg. Das Tal ist sehr abgelegen und bei weitem nicht so bekannt wie das Kleine Walsertal. Es zählt auch viel weniger Gäste und Einwohner. Seine kurvenreichen Straßen kennen keine Ampeln und keinen Stau. In der Abgeschiedenheit hat sich die geballte Kraft der Natur erhalten. Diese Ursprünglichkeit machen sich die Einwohner zunutze.

 

Susanne Türtscher Großes Walsertal

Große Ursprünglichkeit im Großen Walsertal ©DDAVID

Naturparadies Großes Walsertal

Auch ihr eigener Garten in Buchboden, dem letzten Dorf im Großen Walsertal, gleicht einem Naturparadies. Er quillt geradezu über, so üppig wachsen Stauden, Blumen und vor allem Kräuter, die sie zu Essenzen, zu Tinkturen und Tees verarbeitet. Auf ihrer Terrasse und auf den Fensterbrettern stehen überall Tontöpfe mit den unterschiedlichsten Pflanzen.

Kräuter sind ihr Leben. In einer nahegelegenen ehemaligen Mühle hat sie 2010 ein pflanzenumranktes Seminarzentrum eingerichtet. Unweit des Eingangs steht ein großer Holunderbaum. „Der Holunder ist ein Ahnenbaum, der Übergänge im Leben eines Menschen markiert“, erklärt Susanne Türtscher. „Er gehört eigentlich zu jedem Haus.“

 

 

Eine alte Mühle als Kräuterzentrum

In der renovierten Mühle mit den hübschen Gästezimmern bietet die Kräuterpädagogin und Gärtnerin Kurse an. Dabei erfahren die Teilnehmer auch von der Bedeutung der Wildkräuter, die in der Bergregion heimisch sind. Am frühen Morgen, noch bevor die Sonne aufgeht, brechen Susanne und ihre Gäste zur Medizinwanderung auf. Auf den Alpenwiesen sammeln sie Wildkräuter im Morgentau. „Ich pflücke nur reine, unversehrte Blättchen“, erläutert die Pflanzenkennerin.

 

 

Das 80-Seelendorf Buchboden ist Ausgangspunkt für verschiedene Wanderungen. Eine Strecke führt in das Gadental, das für seine große Orchideenvielfalt bekannt ist. Mehrere Arten, wie etwa der Frauenschuh, gelten als bedroht. Plötzlich kreuzt ein Bergsalamander den Wanderweg: rabenschwarz, von der Schwanzspitze bis zu den Glubschaugen. Wie in einem Urwald säumen die riesigen Blätter der Pestwurz den Weg. Weil damit früher Butter eingewickelt wurde, heißt die Pflanze im Volksmund auch „Schmalzblatt“. Schon in der Antike galt sie als Mittel gegen Schmerzen.

 

Der Mann für den Biosphärenpark: Josef Türtscher

Die Gegend ist eine der Kernzonen des Biosphärenparks Großes Walsertal. „Wir sind sehr stolz, dass unser Tal aufgrund seiner artenreichen Tier- und Pflanzenwelt seit 2000 als UNESCO-Biosphärenpark anerkannt ist“, sagt Josef Türtscher, der Obmann des 192 Quadratkilometer großen Biosphärenparks. Mit Nachdruck hatte der Ehemann von Susanne Türtscher einst die Gründung dieses Biosphärenreservats angeschoben.

„Das ganz Besondere sind die vielfältigen und biologisch wertvollen Magerwiesen und die Waldbiotope in unserem Tal“, erläutert er weiter. Das Große Walsertal gilt als mustergültiges Beispiel für naturverträgliches Wirtschaften. Es ist von der UNSESCO zertifiziert und hat seine Evaluierung mit Lob bestanden.

Möglich ist das, weil sich einige Einwohner aktiv engagieren. Wie so oft ist die Mehrheit der Bevölkerung eher zurückhaltend, aber „wohlwollend“, beurteilt Josef Türtscher. „Ein Biosphärenpark lebt von den Menschen, die das Naturschutzkonzept stimmig umsetzen“, sagt der Landwirt. „Am idealsten mit Wertschöpfung vor Ort. Bei uns hat sich das Projekt zum wichtigen Zuerwerb für einige Landwirte entwickelt.

Die geographische Lage und die natürlichen Voraussetzungen tun ihr übriges. Das Große Walsertal mit seinen steilen Hängen ist schwer zu bewirtschaften. Für Skigebiete ist die Gegend ungeeignet, wahrscheinlich ein Glück für die Natur im Tal. Bei gerade einmal 3400 Einwohnern sind viele Bereiche fast unberührt und einsam. So kann sich die Natur in ihrer Ursprünglichkeit entfalten.

 

Die Walser

Vor 700 Jahren wanderten die Walser aus dem Schweizer Kanton Wallis in das Gebiet des Vorarlbergs ein. Sie brachten die Dreistufenwirtschaft und ihre eigene Sprache, das Alemannische, mit. Heute gibt es Walser-Gemeinden in Österreich, Liechtenstein, Italien und der Schweiz. Den Walsern wird ein großer Freiheitsdrang, Liebe zum Vieh und eine besondere Naturverbundenheit nachgesagt. Und so ist für viele Menschen im Großen Walsertal Leben gleichbedeutend mit Pflanzen, Gärten und Natur.

Die Liebe zur Natur liegt den Walsern also quasi im Blut. „Unser Ziel ist es, altes Walser- und Kräuterwissen wieder ins Licht zu heben“, erklärt Susanne Türtscher. Deshalb hat die Walserin im Jahr 2006 die Kräutergruppe „Alchemilla“ gegründet. Der Namen geht auf die lateinische Bezeichnung des Frauenmantels zurück, eine seit jeher dem Weiblichen zugeordnete Kräuterpflanze.

Kräutergruppe „Alchemilla“

Derzeit 14 Frauen sammeln Kräuter und stellen davon Naturprodukte her: Seifen, Balsam, Tinkturen, Tees – ideale Mitbringsel für Touristen. Die Kräuterfrauen sammeln aber auch Wissen über Heilpflanzen und geben dies in Kursen weiter. Das Alchemilla-Projekt ist wie geschaffen für diesen Lebensraum.

Die Alchemilla-Frau Monika Hartmann

Monika Hartmann, eine der Alchemilla-Frauen, zeigt ihren Kräutergarten in Sonntag-Türtsch interessierten Gästen. Der „Garten der Vielfalt“ der Bergbäuerin liefert ihren Bienen die Lebensgrundlage.

Als Imkerin verarbeitet sie nicht nur Honig, sondern auch Propolis. Den natürlichen „Kittharz“ der Bienen verwendet sie für Seifen. Der Lippenbalsam davon soll bei Herpes helfen und die Creme als Narbenmittel dienen. „Altes Heilwissen ist durch die moderne Medizin verloren gegangen“, meint Monika Hartmann. „Wir Kräuterfrauen versuchen, diese Kenntnisse wieder zu reaktivieren und weiterzugeben.“

 

 

Eine andere Initiative im Tal kümmert sich ausschließlich um Bergtees. Überall im Tal werden Wildkräuter gesammelt und zentral verarbeitet. Inzwischen hat der Bergtee aus dem einsamen Großen Walsertal sogar seinen Weg bis in Wiener Kaffeehäuser gefunden.

Impulse für die Seele

Susanne Türtscher freut sich über den Erfolg des Alchemilla-Projektes, auch wenn die zeitliche Belastung für die Mutter von fünf Töchtern immer größer wird. Wenn irgend möglich, zieht sie sich einmal im Jahr zurück. So besucht sie seit Jahren das Kloster Münsterschwarzach in Mainfranken für „eine Innenschau, um Zeit zu haben für die innere Bewegung in der Seele.“

„Mir sind die Tagesabläufe, die Gebetszeiten, die Chorgesänge im Kloster sehr wichtig. Sie sind Impulse für mich. Durch das Herausnehmen aus dem Alltag kann ich mich für das Göttliche besser öffnen“, erzählt sie von ihren Erfahrungen.

Von Mönchen und Kräuterkreisläufen

Das Zeitmaß der Mönche hat sie sehr fasziniert. In gewisser Weise hat sie die mönchischen Zeitabläufe und Feste auf ihren Jahreskräuterkreislauf übertragen. Als Kräuterpädagogin begleitet sie in ihren Seminaren Menschen durch den Jahreskreis im Spiegel der Natur. Dabei verbindet sie ihr Kräuterwissen mit alter Volksheilkunde, mit Ritualen in der Natur, mit Poesie und dem direkten Naturerlebnis. Ihre Kräuterfeste haben einen christlichen Bezug. Letztendlich gehen sie auf uralte Jahreskreisfeste der ursprünglichen Naturreligiosität vorchristlicher Menschen zurück.

Freundschaft mit Pater Anselm Grün

Die Benediktinerabtei Münsterschwarzach ist mit 125 Mönchen eines der bedeutendsten Klöster im deutschen Sprachraum. Dort hat Susanne Türtscher Pater Anselm Grün kennengelernt. Der für seine ausgeprägte Spiritualität bekannte Benediktinerpater sollte zu ihrem geistlichen Begleiter werden. Die Bücher von Anselm Grün haben sich in millionenfacher Auflage verkauft und wurden in viele Sprachen übersetzt. Schon als Jugendlicher hat er sich sehr für Biologie interessiert.

Aus der Freundschaft der beiden entstand ein Buchprojekt.  „Durch seine Persönlichkeit wurde mein Kräuter-Thema ins Licht gehoben“, erinnert sich Susanne Türtscher. „Ich war dann drei Wochen im Kloster, um den Text zu schreiben, in Rücksprache mit ihm.“ Entstanden ist das Buch „Die Heilkraft der Natur – Kräuter, Mythen und Rituale im Jahreskreis“.

 

Kraft des Morgens

Susanne Türtscher hat viele Projekte und Aufgaben. Auch für ihre große Familie möchte sie genügend Zeit haben. Woher nimmt sie die Kraft, allem gerecht zu werden? „Ich ziehe Kraft zum Schaffen aus dem Morgen. Der Morgen ist die Gnade. Über Jahre habe ich mich morgens in den Fluss gestellt. Der Lebensfluss ist für mich das Göttliche. Und ich nehme Kraft aus dem Glauben. Der löste sich in den letzten Jahren immer mehr vom Dogmatischen und ging in eine große Freiheit. Das Göttliche ist in der Natur, im Lebensfluss, im Kosmos, in der Erde selbst, es ist in allem.“

Der frühmorgendliche Gang könnte auch als Symbol gesehen werden für die große Sehnsucht nach der Stille. Das Zurückfinden in den Paradiesgarten. „Von diesem hat keine äußere geografische Vertreibung stattgefunden, sondern eine Vertreibung aus seinem Inneren. Deshalb sind wir heute in Disharmonie“, sagt sie. „Die Natur führt mich in den inneren Paradiesgarten zurück.“

 

Großes Walsertal Vorarlberg

Pflanzenmensch Susanne Türtscher ©DDAVID

 

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Großes Walsertal Vorarlberg

Großes Walsertal im Voraltberg ©DDAVID

 

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WAS IST NOCH GUT ZU WISSEN?

INFORMATION: Susanne Türtscher, Buchboden 35, 6731 Sonntag, T 0043 664 959 8167, info@crescenda.at

Veranstaltungen:  Susanne Türtscher gibt in ihrem Kräuterhaus Mühle in Buchboden verschiedene Seminare wie „Mythos Baum“, „Auf den Spuren der weisen Frauen“,  wie auch Tau- und Kräuterwanderungen.
Monika Hartmann stellt ihren „Garten der Vielfalt“ von Mai bis Oktober nach Voranmeldung vor. Den Sommer über finden weitere Orchideen-, Kräuter- und Gartenwanderungen statt.
susanne-tuertscher.at

LITERATUR-TIPP: Anselm Grün / Susanne Türtscher, Die Heilkraft der Natur, Vier-Türme-Verlag, 2010
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S.G. Fleischhauer / J. Guthmann / R. Spiegelberger, Enzyklopädie Essbare Pflanzen. 2000 Pflanzen Mitteleuropas. Bestimmung, Sammeltipps, Inhaltsstoffe, Heilwirkung, Verwendung in der Küche.  AT Verlag, 2019, 11. Auflage
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M. Moser / E. Thoma, Die sanfte Medizin der Bäume. Gesund leben mit altem und neuem Wissen, Goldmann Verlag, 2018
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ANREISE: Mit dem Auto ist das Große Walsertal etwa drei Stunden von München und je zwei von Innsbruck und Zürich entfernt. Zu erreichen ist es via Bregenz und dem Pfändertunnel oder – vignettenfrei – über Oberstdorf im Allgäu via Rietbergpass/ Bregenzerwald/ Au. Direkte Zugverbindungen existieren von Berlin und Köln. Der nächste Flughafen ist Friedrichshafen.

LAGE:  Das Große Walsertal mit seinen sechs Gemeinden befindet sich auf einer Meereshöhe von 580 bis 2704 Metern im Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs. Der höchste Berg ist die „Rote Wand“. In dem steilen V-Tal wird vor allem Milchwirtschaft betrieben. Es zählt 47 aktive Alpen. Die Walser sprechen nicht Österreichisch, sondern Alemannisch.

Wandern: Das Große Walsertal verfügt über 230 Kilometer markierter Wanderwege mit 40 Berggipfeln. Wer einfach einsteigen möchte, kann den 2013 eröffneten Kneipp-Wanderweg mit Tauchbecken für Arme und Beine in Raggal begehen. Der Blumen-Wanderlehrpfad (1772m ü.M.) kann allein oder mit Führung (einmal die Woche) von Faschina aus begangen werden.

Öffentliche Verkehrsmittel: Die öffentlichen Busse verkehren z.T. nur auf Voranmeldung. Zwei Seilbahnen und spezielle Wanderbusse bringen Gäste auf den Berg.

ÜBERNACHTUNG:  Hotel Kreuz in Buchboden, A-6731 Sonntag, Österreich Tel.: +43(05554)5214, Mail: hotel.kreuz@aon.at, www.hotel-kreuz.info
Margot und Georg Türtscher führen ihr Hotel mit Anspruch. Georg Türtscher, der Schwager von Kräuterexpertin Susanne Türtscher, ist zugleich auch Koch des Familienhotels. Er bereitet spezielle Kräutermenüs zu. Da gibt es Gnocchi mit Gutem Heinrich, einer spinatartigen Pflanze. Gefolgt von Schweinemedaillons in der Bergkräuterkruste auf Brennnessel-Kohlrabigemüse mit Kartoffel-Gierschpuffer. Ja, der Giersch, der in den meisten Hausgärten auf das heftigste als Unkraut bekämpft wird, bekommt hier ein neues Image. „Bei Wildkräutern nur die feinen Blätter und nicht die Stängel verarbeiten“, empfiehlt der Kräuterkoch in seiner Küche, die freien Blick auf das Rothorn bietet. Der markante Berg bildet den hinteren Abschluss des Großen Walsertals. Ein angenehmes Hotel mit Ausblick und Einblick in die Küche mit Kräutern.

INFORMATIONEN: Verein Großes Walsertal Tourismus, Jagdbergstraße 272, A-6721 Thüringerberg, Österreich, Tel.: 0043-5554-5150, E-Mail: info@walsertal.at,
www.walsertal.at; www.grosseswalsertal.at

WEITERE INFOS ZUM REISELAND Österreich: www.austria.info

 

Lesen Sie auch in vonREISENundGAERTEN die Buchempfehlung des Gartenromans „Der Garten unter dem Eiffelturm“ von Elena Eden, der zugleich ein Gartenreiseführer zu Paris und der Normandie ist…

 

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